Beweglichkeitstraining mit five,
ein gutes Mittel gegen „Sitzitis“
Ist Euch „Sitzitis“ ein Begriff? Sitzitis ist die neueste Krankheit unserer technisierten Gesellschaft. Sie begann mit der Erfindung der Stühle und hat sich heute durch die Verfeinerung der beweglichkeitseinschränkenden Erfindungen weit verbreitet. Als Varianten dieser Krankheit gibt es noch die „Liegitis“ oder „Stehitis“. Zusammenfassend handelt es sich also um einen Komplex von Nichtbewegungen. Man beginnt damit schon frühzeitig, indem man grundsätzlich bewegungsfreudige Kinder stundenlang stillsitzen lässt. Die Unbeweglichkeit setzt sich dann weit fort… bis in unsere Gehirne, die wir ja neuerlich auch durch unsere Technik, Werbung und Medien bewegen lassen…
Scherz beiseite: tatsächlich ist es im Alltag der meisten von uns Usus sich wenig zu bewegen. Der Mensch ist grundsätzlich bequem und die meisten von uns nutzen eher einen Aufzug als Treppen, fahren lieber mit dem Auto statt zu laufen. Und wenn wir uns bewegen, dann ist der Radius der Bewegung oft nicht ganz ausgenutzt. Wir strecken uns kaum noch voll in den Gelenken. Damit fehlt der Reiz auf unsere Muskulatur in die volle Länge zu gehen. Die Folgen davon sind zum einen eine verkürzte Muskulatur und zum anderen mit Nährstoffen unterversorgte Gelenke. Denn erst durch Bewegung kann ein Gelenk mit Nährstoffen versorgt werden.
Nehmen wir als Beispiel die Wirbelsäule:
Zwischen den einzelnen Wirbelkörpern befinden sich die Bandscheiben. Sie nehmen wie ein Schwamm bei Entlastung frische Nährflüssigkeit auf und bei Belastung geben sie verbrauchte Nährflüssigkeit ab. Der Stoffwechsel der Bandscheiben funktioniert also über Bewegung, über Be- und Entlastung.
Zudem sind die meisten Bewegungen im Alltag nach vorn ausgerichtet: Autofahren, Sitzen, Essen, Fernsehschauen, Arbeiten im Haushalt wie z.B. Staubsaugen, handwerkliche Arbeiten wie z.B. Bohren, Sägen, Schweissen etc. Unsere hintere Halsmuskulatur, unsere Brust-, Bauch- und Hüftbeugemuskulatur passt sich dem an, indem sie verkürzt. Sogar unsere Augen bewegen sich – bedingt durch viele Arbeiten an Computer oder viel Schauen aufs Handy – meist nur noch nach vorn. Das erklärt wiederum viele erworbene Fehlsichtigkeiten. Schliesslich ist der Augenmuskel auch ein Muskel, der sich in viele Richtungen bewegen kann.
All das widerspricht unserem biologisch vorgegebenen Bewegungsmuster, das uns eine Bewegung in viele Richtungen, auch nach hinten, ermöglicht. Die Folgen dieser Bewegungsarmut sind fatal: Schmerzen im Gelenkapparat, Unbeweglichkeit, Schwindel, Kopfschmerzen, Erhöhung des Verletzungsrisikos bei Stürzen, Osteoporose… und das nicht erst ab 50 oder 60. Viele Kinder leiden bereits an Verspannungen, Rundrücken, vorgeschobenen Becken, Rückenschmerzen, Skoliose, Deformationen in Gelenken…
Was können wir dagegen tun?
Zum einen natürlich bewegen… auch in den Köpfen. Bewegung und Training sind unersetzliche Bestandteile unseres Alltags. Wie man das gestaltet, ist jedem selbst überlassen. Sinnvoll ist es, wenn man sich auch hier von Fachpersonen beraten lässt. Schliesslich geht es um eure Gesundheit.
Richtiges Beweglichkeitstraining, und ich meine tatsächlich Training, ist ein Training des Muskels auf Länge, wie ihr es im FIVE-Zirkel praktizieren könnt. Unser Muskel folgt immer dem Reiz, dem man ihn setzt. Muskellängentraining heisst Krafttraining in der vollen Bewegungsamplitude, die der Muskel hat. Entscheidend ist hierbei zum einen das Wissen um die Bewegungsamplitude der einzelnen Muskeln; der Muskel sollte optimale Bewegungsmuster der Alltags- und Sportmotorik ausführen können.
Zum anderen ist entscheidend, die richtige Intensität und Dauer der Belastung zu wählen. Der Muskel kann nur unter Spannung, also bei aktiver Belastung in einer vorgespannten Gelenkposition, auf Länge trainiert werden. Dies ist ein statisches Krafttraining in der Gelenk-Endposition. Das ist Unterschied zum klassischen Krafttraining oder auch dem statisch-passivem Dehnen. In Folge besitzt der Muskel mehr Sarkomere (kleinste Einheit der Muskulatur) als vorher. Klassisch passiv-statisches Dehnen löst kein Muskellängenwachstum aus, da hier der muskuläre Reiz auf die Z-Streifen des Muskels fehlt. Beim klassischen Dehnen werden die Muskelfasern kurzzeitig auseinander gezogen. Danach ist zwar der Muskeltonus geringer, aber die Anzahl der Sarkomere hat sich nicht verändert.
Zum Schluss möchte ich mich noch kurz zu den rückwärtigen Bewegungen äussern. Das erscheint einigen von Euch vielleicht als völlig ungesund. Wie kann es denn sein, dass man sich mit dem Oberkörper nach hinten biegen soll? Eure Befürchtung hierbei ist, dass man dabei doch etwas im Rücken kaputt machen kann. Da kann ich Euch beruhigen. Diese Bewegung ist eine ganz natürliche Bewegung und vor einigen hundert Jahren gehörte sie noch zu unserem normalen Alltag, z.B. wenn wir einen Speer werfen mussten. Ausserdem führen wir die Bewegung unter einer Vorspannung, wie oben erläutert, aus. Unseren Bandscheiben sind uns für diese rückwärtigen Bewegungen auch sehr dankbar: sie werden wieder richtig positioniert. Bereits vier bis fünf Rückwärtsbewegungen pro Tag können gegen die Rückenschmerzen vorbeugen oder sie sogar lindern.
Beitrag von Grit Eismann